Wie Medien den Ruf des Stadtteils Berlin-Wedding ruinieren

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wedding rehbergeSozialer Brennpunkt Berlin-Wedding

Als ich 2002 direkt von der Hochschule zum Sozialamt durchgereicht wurde, war ich in Berlin, frisch aus der niedersächsischen Leine Kloake kommend, auf Wohnungssuche. Mein sozialer Status schloss gutbürgerliche Wohngegenden schon mal aus. Zehlendorf, Steglitz, Charlottenburg & Co waren undenkbar. Auch die schicken Trendbezirke wie Friedrichshain, Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, dessen Bewohner mit ihren hippen 70er Jahre Retro-Look bei mir Augenkrebs hervorriefen, kamen nicht infrage. Angebote gab es zu dieser Zeit aber noch zu Hauf im national befreiten Ostteil der Stadt oder eben in den sozialen Brennpunkten Berlins. Schon Anfang der 2000er Jahre war es üblich, dass sich Medien gerne einen Stadtteil der noch jungen Hauptstadt herauspickten, um auf diesen jahrelang herumzuhacken. Das Wort „Wedding“ viel in dieser Zeit sehr oft in Zusammenhang mit Dreck, Kriminalität und Überfremdung. Noch hatte ich keinerlei Berührungspunkte zu diesem Stadtteil Berlins. Das sollte sich bald ändern.

Wohnungen wurden Anfang der 2000er Jahre noch klassisch in der Tageszeitung ausgeschrieben, die großen Immobilienanbieter im Internet gab es noch nicht. „Wohnen in der neuen Mitte“ – so titelte seriös eine Überschrift. Auch der Preis stimmte - 300 Euro warm für 50 Quadratmeter. Also nichts wie hin. Als ich aus der U-Bahn-Station Rehberge emporstieg, stellte ich schnell fest: Mit „Mitte“ hat diese Gegend herzlich wenig zu tun. Die Müllerstraße schien mich mit ihrer Lautstärke, den vielen Döner – und Ramschläden schier zu erschlagen. Das war er also, der böse Wedding, von dem alle sprachen. Von der Müllerstraße bog ich in die Dubliner Straße ab, in der sich die ausgeschriebene Wohnung befand. Hier sah es aber plötzlich ganz anders aus. Friedlich, nostalgisch und auch ganz hübsch. Auch von der lärmigen Müllerstraße war kaum etwas zu hören. „Die Wohnungen sind hier fast nicht zu vermieten. Wir müssen schon am Rande der Unwirtschaftlichkeit verpachten“ stöhnte der Verwalter. Der Anblick der Wohnung, ein Schock. Ranzig und versifft. Meine Schuhe blieben auf den Holzdielen kleben. Der Verwalter bemerkte meine sich in Grenzen haltende Begeisterung. „Nebenan ist auch frei, schauen Sie sich diese Wohnung doch noch an“. Gesagt, getan. Hier sah es schon besser aus. Mit etwas Eigeninitiative ließ sich aus der Altbauwohnung mit Fenster zur Straße etwas machen. Der Deal war abgeschlossen. Mit lästigen Mitbewerbern um diese Wohnung musste ich mich nicht herumschlagen. Es gab sie zu dieser Zeit einfach nicht. Nun war ich also angekommen, ganz unten. Endstation Wedding.

Die ersten Wochen verbrachte ich damit mich mit meinem neuen Kiez und Stadtteil auseinander zu setzen. Schnell stellte ich fest, dass der eigentliche Wedding mit seinen ursprünglichen Grenzen gar nicht mal so schlecht ist. Viel Grün, viel erhaltene Bauwerke aus der Gründerzeit, bezahlbare Mieten und eine hervorragende Infrastruktur. Doch irgendwie wurden die Grenzen des Stadtteils Wedding in der Öffentlichkeit nicht anerkannt. Die vielen schlechten Nachrichten aus dem „Wedding“ kamen geografisch gesehen hauptsächlich aus dem Stadtteil Gesundbrunnen. Warum die Medien immer wieder den Stadtteil Gesundbrunnen im Zusammenhang mit dem Wedding brachten (und es heute noch tun), bleibt für mich ein Rätsel. Wird die Karte betrachtet, so gibt es eindeutig zwei unterschiedliche Stadtteile und keinen gemeinsamen Stadtteil Gesundbrunnen und Wedding. Für mich war immer klar: Gesundbrunnen ist nicht Wedding - oder eben umgekehrt. Warum Stadtteile ernennen  um sie später in allen Bereichen des Lebens zu vermischen? Kündigte sich bei mir einmal Besuch von außerhalb Berlins an, kam schnell die Frage in welchem Stadtteil ich denn wohne. Sagte ich dann „Wedding“, kamen Antworten wie „Oh je, ich überlege mir doch noch mal“ oder „Boah, das ist ja voll übel, du bist ja echt im Ghetto gelandet“. Bundesweit ist der der Ruf des Berliner Stadtteils Wedding durch falsche geografische Berichterstattung seitens der Medien ruiniert.

Der große Schandfleck von Berlin-Wedding ist für mich bis heute noch die Müllerstraße, einschließlich Leopoldplatz. Allenfalls an diesen Orten ist ein (optischer) Vergleich zum Stadtteil Gesundbrunnen zulässig. Auch der Ausländeranteil ist in Berlin-Wedding weitaus geringer, von den Straftaten mal ganz abgesehen. Ich habe 10 Jahre in Berlin-Wedding gewohnt und habe in dieser Zeit allenfalls Ereignisse erlebt, die in jeder Großstadt der Republik vorkommen. Eine Schießerei vor einem kroatischen Restaurant, der Schillerpark Bomber und der Mord in einem Dönerladen. Das waren die einzigen nennenswerten Negativereignisse, an die ich mich erinnern kann. 2012 verließ ich den Wedding schweren Herzens. Grund dafür war eine berufliche Veränderung und der stetige Abwärtstrend des Wohnhauses. Am Ende konnte ich die Namen am Klingelschild meines Hauses kaum noch aussprechen, ohne zu spucken. Mit Änderung der Mieterklientel nahm auch die Vermüllung zu – nicht nur in meinem Haus. Auch wenn die meisten Menschen, die in Berlin-Wedding wohnen, nicht aus der gesellschaftlichen Oberschicht kommen und ihnen nicht die Sonne aus dem Arsch scheint, habe ich mich dort sehr wohlgefühlt.

Heute wohne ich weiter im Norden der Stadt, im Märkischen Viertel. Ein Ortsteil mit ebenso einem problematischen Ruf. Doch hier grenzen die Medien klar ab. Umliegende Stadtteile wie Wittenau werden bei Negativmeldungen komischerweise nicht in einem Atemzug genannt. Warum eigentlich nicht?

 

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Hendrik Lorenz

*1970 in Braunschweig.
Technischer Redakteur, Offsetdrucker und professionelles Arschloch.

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Kommentare

Hendrik gefällt ein Kommentar bei Impressum
God Tonya, come over email!!!! postamt@hendrik-lorenz.de
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Tonya hayslett gefällt ein Kommentar bei Impressum
Hey hendrik it's me Tonya took me a while but got a phone to find you
Mansour gefällt ein Kommentar bei Kotte & Zeller - Eine unendliche Bestellung
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