Ich war mal wieder ein wenig im Weserbergland unterwegs. Dieses Mal kam Neuhaus im Solling unter die Lupe. Von einigen Leuten wurde mir dieses Dorf als attraktiver Luftkurort empfohlen. Also mal hochfahren, der Sache und den damit verbundenen Aussagen auf den Grund gehen. Der Smart TDI mit 35 PS kam auf der Strecke schon etwas ins Schwitzen. Auch wenn die Steigung optisch kaum bemerkbar war, ging im letzten Gang teilweise gar nichts mehr. Der Druck auf den Ohren verriet: Hier geht es bergauf. Die Strecke, mit gerade mal 11 Kilometern von Holzminden aus kamen einen vor wie gefühlte 30 Kilometer. Doch dann war Neuhaus im Solling erreicht. Auto abstellen und mal schauen, was auf der „Promenade“ so geht. Gesehen habe ich in meinem knapp einstündigen Aufenthalt eigentlich niemanden. Abgesehen von der Oma mit dem Rollator (fahrbare Gehhilfe), die wahrscheinlich gerade dem ansässigen Altenheim (dem wahrscheinlich einzig modernen Gebäude in dieser gottverdammten Gegend) unerkannt entwischt ist. Ich stellte mir Neuhaus im Solling irgendwie anders vor. Eigentlich so, wie in vielen Reiseführern und auf vielen Webseiten beschrieben. Ich dachte an viele Wanderer, an Mountainbiker oder an belebte Gaststätten. Doch was ich sah, war eben nur die Rollator-Oma. Im Laufe des Aufenthalts traf auf weitere gebrechliche und graue Gestalten, die dem natürlichen Tode schon ziemlich nahe waren und hin und wieder die Straße überquerten. Auf 1000 Meter Länge war es die größte Ansammlung von geschlossenen Wirtschaften, die ich je gesehen habe. Da kann vom Aufkommen her noch nicht einmal die übelste Straße in Berlin-Wedding mithalten. Leere Geschäfte und viele Häuser mit „zu vermieten“ oder „zu verkaufen“ Schilder in den Fenstern. Ich glaube hier können auch Immobilien verschenkt werden und niemand will sie haben. Auch für das „Gast- und Pensionshaus Solling“ scheint sich kein Käufer zu finden. Warum eigentlich nicht? So wie es ausschaut, dürfte diese Einrichtung schon als „Retro“ wieder voll im Trend liegen. Eine Schänke im Stil der 70er Jahre, mit vergilbten Gardinen und braunen, ranzigen Inventar. Nicht zu vergessen das Rotwild Geweih an der vertäfelten Holzwand. Das schmeckt das Bier aus schmierigen Gläsern und auf verklebten Holzstühlen mit Herzchen Ausstanzung sicherlich doppelt so gut. Hier muss sich der Gast den Wohlfühlfaktor erst ansaufen. Das ideale Geschäftsmodell. Im „Braunen Hirschen“ gibt es derzeit nur noch geschlossene Gesellschaft. Hier können Party-wütige unerkannt mal so richtig die Wildsau herauslassen, bevor dies deftig gewürzt auf dem Teller landet. Auch das „Hotel zur Linde“ hat versucht, mit der Zeit zu gehen und sich mit Plakaten als "Biker-Treff" (zumindest inoffiziell) einen Namen gemacht. Zu sehen ist allerdings kein einziges Motorrad, sondern nur ein geöffnetes Fenster, aus dem eine ranzige Gardine weht. Ein paar Meter weiter hat ganz offensichtlich auch das „Hotel-Cafe Wildenkiel“ unter Kundenmangel zu leiden. Hier ist es selbst dem Verkäufer zu peinlich, seine Identität preiszugeben. Ausgehängt ist nur eine Telefonnummer für Interessenten. Sehenswert ist auch noch der „blau-gelb Frischmarkt“ der auch geöffnet aussieht, als sei er geschlossen. Frisch kann ich mir hier gar nichts vorstellen. Eher ungenießbar. Trotzdem – im Design der 80er Jahre ein echter Hingucker und sicherlich einen Besuch wert. Nach ungefähr einer Stunde stoppte ich meinen Rundgang in Neuhaus im Solling aufgrund plötzlich auftretender Depressionen.
Fazit: Eigentlich habe ich nie gedacht, dass die Zustände im Westharz einen anderen Ort in Niedersachsen toppen kann. Mit dem Besuch in Neuhaus im Solling wurde ich eines Besseren belehrt. Wenn ich hier nur zwei Tage zubringen würde, könnte man mich am nächsten Tag vom Seil schneiden. Düster und trostlos. Wer seine Depressionen pflegen möchte, ist hier genau richtig. Ganz in der Nähe haben noch andere Siedlungen eine ähnliche Lebensqualität wie Neuhaus im Solling anzubieten. Stadtoldendorf oder zum Beispiel das berüchtigte Salzgitter.