Reisebericht Görlitz (Sachsen) 2017

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goerlitzKein Motiv ist beliebter von Görlitz...

Oft ist sie nicht im Gespräch, die östlichste Stadt Deutschlands. Aber wenn, dann immer im Zusammenhang mit der imposanten Architektur. Grund genug, die Stadt an der Neiße einen Besuch abzustatten. Die Deutsche Bahn hat die Verbindung nach Cottbus bzw. Görlitz schon längst abgegeben. So verkehrt komplett die Ostdeutsche Eisenbahn auf dieser Strecke. Bis nach Cottbus fuhr ein gerammelt voller Doppelstock Zug. Über eine Stunde Papiertüten Geraschel und Kindergeschrei. Von Cottbus aus ging es dann mit einem Schienenbus weiter nach Görlitz. Vorbei an verfallenen Häusern und Industriebrachen. Ein wahrhaftig deprimierender Anblick. Spannende Zwischenhalte wie Weißwasser oder Horka förderten die geografische Bildung. Entlang der Strecke waren alle Haltestellen auch in Obersorbisch, eine anerkannte Minderheitensprache in Deutschland, ausgeschrieben. Mit einer Fahrzeit von 2:40 Stunden für gerade einmal 200 Kilometer war es eine lange Reise. Der Bahnhof Görlitz überraschte durch seine Größe. Bei einer Stadt mit 55.000 Einwohnern hätte ich das nicht unbedingt erwartet. Auch dass die Stadt über eine Straßenbahn verfügt, hat mich etwas verwundert. Auf dem Weg in die Altstadt ging es vorbei an prunkvoll sanierte Bauten aus der Gründerzeit. Zwischen all den restaurierten Gebäuden befinden sich immer wieder Stilbrüche in Form von unsanierten und vernagelten Häusern. Anhand dieses Zustands ist das Aussehen von Görlitz kurz nach der Wende gut nachvollziehbar. Um erstaunlicher ist es zu sehen, was sich in den letzten 25 Jahren in Görlitz alles zum Positiven verändert hat. Leider konnte sich bis heute nicht für alle sanierungsbedürftigen Objekte ein Investor finden. Der Zerfall geht an einigen Stellen ungebremst weiter. Auf dem Weg in die Altstadt ändert sich auch die Architektur. Von Gründerjahr zu Barock bis hin zum Mittelalter. In Görlitz reiht sich ein architektonisches Highlight an das Nächste. Eine Mischung aus Prag, Breslau und Krakau. Um sich allem intensiv zu widmen werden Tage benötigt, so groß ist die Auswahl an Sehenswertes. Gemessen an der Einwohnerzahl wirkt die Stadt deutlich größer. Sie lässt sich zwar gut zu Fuß erkunden, zieht sich aber dennoch mehr als erwartet. Viele Touristen waren an diesem Herbsttag nicht zu sehen. Die meistens Besucher kamen wohl aus dem benachbarten Polen. Viele Restaurants und Gaststätten auf der westlichen Seite der Neiße waren gänzlich in polnischer Hand oder hatten polnisches Personal. Auch Görlitz hat seit der Wende mit dauerhafter Abwanderung zu kämpfen. So verlor die Stadt seit der Wende über 22.000 Einwohner durch die prekäre wirtschaftliche Lage und den damit verbundenen Geburtenrückgang. Die strukturschwache Lausitz wird auch in Zukunft Ursache weiterer Abwanderung der Bevölkerung sein. Allenfalls der Tourismus boomt. Bei den ausländischen Gästen ist die Stadt Görlitz aber noch relativ unbekannt.

Obermarkt und Untermarkt bilden das historische Zentrum der Stadt. Ganz in der Nähe der Nikolaizwinger und die St. Peter und Paul Kirche. Hinter der Kirche geht es bergab zur Altstadtbrücke. Diese wurde 2004 als reine Fußgängerbrücke eröffnet und verbindet den westlichen Teil Görlitz mit dem östlichen Teil, der heute zu Polen gehört und den Namen Zgorzelec trägt. Viele Tagesbesucher gehen hier von Ost nach West und umgekehrt. Die deutschen Besucher nutzen dabei gerne die Gelegenheit zum preiswerten Einkauf von Zigaretten oder Alkohol. Durch die gesamte Altstadt ziehen sich Hotels, Cafés und Restaurants. Von Touristenmassen überschwemmt ist Görlitz aber nicht. Außerhalb der Altstadt gibt es auch noch viel zu entdecken. So schmücken etliche Seitenstraßen frisch renovierte Altbauten. Ein planloses Schlendern durch die Straßen ist absolut sehenswert. Hin und wieder sind auch noch Überreste eines lange untergegangenen Staates zu erkennen. So erinnert an der Uferstraße das alte VEB Kondensatorenwerk noch eindrucksvoll an diese Zeit. Weitere Industrieruinen befinden sich über die gesamte Stadt verstreut. Auch außerhalb des Zentrums von Görlitz bieten sich genug Unternehmungsmöglichkeiten (Tierpark, Weinberghaus, Neißeviadukt u.v.m.). Die Landskron Brau-Manufaktur bietet an mehreren Tagen in der Woche unterschiedliche Führungen durch ein imposantes Industriedenkmal an. Und wer Glück hat, kann eventuell einen Filmdreh miterleben. Die Stadt Görlitz ist ein beliebter Produktionsort der Filmindustrie.

Fazit: Um Görlitz zu entdecken, sollte genug Zeit investiert werden. Ein Tagesbesuch reicht für die Stadt mit dem enormen Aufkommen an Sehenswürdigkeiten nicht aus. Görlitz verzeichnet derzeit ein steigendes Besucheraufkommen, ist aber vom Massentourismus anderer Städte noch sehr weit weg. Die vom Krieg unzerstörte Stadt bietet Architektur durch unterschiedliche Zeitepochen und gibt einen Überblick, wie viele deutsche Städte vor dem Krieg einmal ausgesehen haben müssen. Das Ganze kann auch noch bequem mit einer Einkaufstour in Polen kombiniert werden. Görlitz ist definitiv eine Reise wert, auch wenn die Stadt ab 22 Uhr wie ausgestorben wirkt.

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Hendrik Lorenz

*1970 in Braunschweig.
Technischer Redakteur, Offsetdrucker und professionelles Arschloch.

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Kommentare

Hendrik gefällt ein Kommentar bei Impressum
God Tonya, come over email!!!! postamt@hendrik-lorenz.de
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Tonya hayslett gefällt ein Kommentar bei Impressum
Hey hendrik it's me Tonya took me a while but got a phone to find you
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